Veröffentlicht am 5. März 2021
Ein Beitrag von Meltem Ay

Im Gespräch mit Martina Gruber, Vorstand der Clearstream Banking AG, über Ziele, Vorbilder und Mentor*innen

Der Aufstieg der Frauen in die Spitzengremien geht hierzulande nur schleppend voran. Umso spannender ist es, mit einer Frau zu sprechen, die es an die Spitze geschafft hat. Wie ist es ihr gelungen, wer sind ihre Vorbilder und hatte sie Mentor*innen, sind nur einige der Fragen, die Meltem Ay Martina Gruber, im Vorstand bei der Clearstream Banking AG, anlässlich des Weltfrauentags am 8. März gestellt hat.

Deutschland hinkt in puncto Geschlechtervielfalt anderen europäischen Ländern hinterher. Was meinen Sie, wo liegt unser Problem?
Ich glaube, das hat auch viel mit unserer Sozialisierung zu tun. In den 70iger Jahren brauchten Frauen noch die Genehmigung ihrer Männer, um arbeiten gehen zu dürfen. Das ist nicht einmal 50 Jahre her! Es ist bei uns immer noch weit verbreiteter Konsens, dass sich vor allem die Frauen um die Kinder zu kümmern haben. Rabenmutter ist ein urdeutsches Wort und Symbol dieses Gedankenguts. Hier findet inzwischen ein Umdenken statt. Inzwischen sind ja z. B. ein signifikanter Prozentsatz der Kolleg*innen, die in Elternzeit sind, Männer. Aber es muss konsequent fortgeführt werden; die Infrastruktur muss angepasst werden. Wir brauchen bezahlbare Krippenplätze und ein gutes Ganztagesschulangebot. Frauen müssen die Chance haben, sich nicht nur für Kinder, sondern auch für eine Karriere entscheiden zu können.
Natürlich muss auch bei den Männern ein Umdenken stattfinden, aber auch sie brauchen Unterstützung. Es muss in Ordnung sein, dass sie ihre Kinder um 17 Uhr irgendwo abholen, ohne schief angesehen zu werden. Das machen beispielsweise die Niederländer so viel besser. Dort werden keine Meetings vor 9 oder nach 17 Uhr angesetzt. Das ist viel familienorientierter!
Gerade in Führungsetagen sind wir in Deutschland sehr rückständig, was die Akzeptanz dafür betrifft, dass Familie versorgt werden muss – ob von Mann oder Frau.

Wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung beim Thema Geschlechtervielfalt in Führungsgremien mit Blick auf Deutschland?
Da gibt es noch viel zu tun! Es muss ‚from the top down‘ gelebt werden, in die Zielvereinbarungen der Führungskräfte einfließen und in den Köpfen der CEOs verankert sein. Das Verständnis muss sein, dass Vielfalt einen Mehrwert bringt und Andersartigkeit förderlich für Teams ist. Das geht weit über die Frage des Geschlechtes hinaus.

Worauf sollten Frauen in ihrer Karriereplanung achten, um sich auf eine Spitzenposition vorzubereiten?
Ganz wichtig ist es, sich über sein Leben klar zu werden und ein Ziel zu setzen. Was will ich? Karriere machen ja, aber zu welchen Opfern bin ich bereit? Was ist mit Auslandsaufenthalten? Die Partnerwahl ist ebenfalls relevant. Unterstützt mich mein Partner in meinen Bestrebungen?
Im Übrigen gibt es nichts, was man nicht machen kann. Ich kann auch mit Familie ins Ausland gehen! Aber ich muss meine Ansprüche anmelden, klar formulieren und sagen, ich will das. Offen sein und keine Angst haben vor Herausforderungen.

Und wo sehen Sie die größten Hindernisse?
In den Köpfen! Wir Frauen neigen dazu, einen Job oder eine neue Aufgabe nur dann anzunehmen, wenn wir über 100 % der Skills verfügen. Da sind Männer ganz anders.
Wenn ich merke, dass es in einem Unternehmen für mich nicht weitergeht, ich so nicht ans Ziel komme, muss ich neue Chancen suchen. Dazu muss ich bereit sein, meine Komfortzone zu verlassen, Gespräche mit anderen führen und vielleicht auch mal privat einen Coach buchen. Sich selbst als Priorität sehen. Vielleicht muss man mehr delegieren – beruflich wie privat. Das kann so aussehen, dass man die Kinder mal zu den Großeltern schickt, um etwas Kraft zu tanken. Sich selbst Auszeiten zu gönnen und auf den eigenen Energiehaushalt zu achten – ohne ein schlechtes Gewissen zu haben – ist wichtig.

Denken Sie, dass der Gesetzgeber weitere Schritte unternehmen muss?
Ich beobachte die Entwicklung nun seit 30 Jahren und für mich geht es immer noch zu langsam. Wichtiger als eine Quote ist aus meiner Sicht, dass die entsprechende Infrastruktur bereitgestellt werden muss. Steuerlicher Anreize schaffen wie z. B. Kindergartenunterbringung oder mehr Ganztageseinrichtungen und volle steuerliche Absetzbarkeit von Tagesmüttern etc..

Welche Frau bewundern Sie und warum?
Nicht eine, ich habe viele Vorbilder. Amelia Earhart als die erste Frau, die geflogen ist. Aber auch andere, wie die erste Frau, die eine Hose getragen oder einen Uniabschluss gemacht hat. Frauen, die sich also in ihrer Zeit haben extrem durchsetzen müssen. Es braucht diese Vorbilder. Ich bewundere aber vor allem auch Frauen in unserer Zeit, die es aus schwierigen Verhältnissen geschafft haben, die am Ball geblieben sind, oder auch alleinerziehende Frauen, die den Alltag trotz aller Widrigkeiten stemmen und meist mit wenig Geld auskommen müssen.

Brauchen wir einen International Women‘s Day heutzutage überhaupt noch?
Ja, brauchen wir! Noch ist er nötig, aber es bleibt die Hoffnung, dass wir ihn irgendwann abschaffen können.

Wer hat Sie inspiriert?
Meine Mutter. Sie ging vor dem Mauerbau mit einem Einkaufskorb von Ostberlin nach Westberlin und hat ihre Familie zurückgelassen. Ihren Mut habe ich sehr bewundert. Sie wusste ja nicht, ob und wann sie ihre Eltern und Geschwister wiedersehen würde. Sie wurde 1931 geboren, ging 7 Jahre zur Schule. Immer hat sie mir signalisiert, du kannst alles erreichen. Mach dich nicht abhängig.
Ich hatte auch eine Grundschullehrerin, die mir geraten hat, mich nie abhängig zu machen und auf eigenen Beinen zu stehen. Mit einer guten Ausbildung können wir alles im Leben erreichen.

Hatten Sie einen Mentorin?
Ja. Ich war im Mentorenprogramm der Deutschen Börse. Mein direkter Chef hat mich sehr unterstützt. Später hatte ich das Glück Reto Francioni als Mentor zu haben. Von beiden konnte ich viel lernen. Mir wurde viel zugetraut, sodass ich immer in die nächste Rolle kam. Aber auch mein Mann war mein Mentor. Er hat einen ähnlichen Background, war mir beruflich aufgrund seines Alters etwas voraus und hatte viele Situationen bereits durchlebt. Mit ihm konnte ich alles besprechen. Er hat mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Und heute stehe ich selbst gerne vielen jungen Frauen als Mentorin zur Verfügung. Das ist mir sehr wichtig! Und wer keinen Mentorin hat, sollte sich einen suchen. Eine Person ansprechen, die man bewundert, und fragen, ob sie diese Rolle übernimmt.

Was glauben Sie, welche Fähigkeiten sind notwendig gewesen, um Sie dahin zu bringen, wo Sie heute sind?
Dass ich an mich selbst geglaubt habe! Vertrauen in sich selbst zu haben, dass man das schaffen kann, ist ganz wichtig. Aber auch Mut, Beharrlichkeit und Authentizität.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Gruber!

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