Home-Office bedeutet für die meisten Beschäftigten Flexibilität und Freiheit, die sie nicht mehr missen möchten. Glaubt man Studien z. B. des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW)*, müssen sie das auch nicht. Viele Firmen planen auch über Corona hinaus an Home-Office-Regelungen festzuhalten. 2020 wollten bereits 64 % der Unternehmen aus der Informationswirtschaft auch künftig mindestens einen Tag pro Woche das Arbeiten von zu Hause erlauben. 2021 waren es bereits 74 %.
Führung wird deutlich anspruchsvoller
Fakt ist, dass in den letzten ein bis zwei Jahren viele Beschäftigte erstmalig von zu Hause arbeiten durften. Und auch für viele Vorgesetzte** war es ein Novum. Wird es nun die Regel, dass die Mitarbeiter** überwiegend zu Hause sind, erfordert dies auch ein Umdenken in Sachen Führung. Führung, ohnehin eine oft unterschätzte Managementdisziplin, wird noch anspruchsvoller.
Lange war sie etwas Situatives, basierend auf dem Reiz-Reaktions-Schema. Spätestens in Zeiten hybrider Arbeitsmodelle gilt es, dies zu durchbrechen. Ohne die zufälligen Begegnungen auf dem Flur und dem kurzen Plausch an der Kaffeemaschine müssen Vorgesetzte** künftig mehr Zeit investieren, um an ihren Mitarbeitern** dranzubleiben. Diesen Draht auch über die Entfernung hinweg nicht abreißen zu lassen, weiterhin Guidance zu geben und zu coachen erfordert ein hohes Maß an Empathie. Eine Eigenschaft, die daher heute auch im Executive Search sehr viel mehr gefragt wird, als noch vor der Pandemie.
New Work heißt Arbeit neu zu denken
Das viel bemühte Buzzword „New Work“ versucht, den Megatrends in der Arbeitswelt wie Digitalisierung, Work-Life-Balance, Globalisierung etc. eine Heimat zu geben. Wer begreift, wie vielschichtig das Thema ist, denkt Arbeit neu: angefangen beim Recruiting und der Einarbeitung neuer Mitarbeiter**, über Führung und Mitarbeiterbindung. Arbeitgeber-Benefits, die mit dem Büro zusammenhängen, verlieren an Bedeutung – und auch an Zugkraft. Was verbindet Mitarbeiter** eines Unternehmens, wie werden sie zum Team? Eine gelebte Unternehmens- und Führungskultur, gemeinsame Werte und Arbeit, die sich über den erbrachten Wert definiert, werden wichtiger denn je. Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben zunehmend. Das Risiko der Überforderung, der Ruhelosigkeit steigt, denn die Arbeit ist allgegenwärtig. Ein weiteres Argument für die Bedeutung empathischer Führung.
Motivation und Leistungsbereitschaft – die untrennbaren Verbündeten
Damals wie heute sind Motivation und Leistungsbereitschaft eng miteinander verknüpft. Mitarbeiter** wünschen sich Anerkennung für Ihre Leistung. Unternehmenslenker** müssen sich fragen: Wie klappt das zurzeit in meiner Organisation? Wieviel Raum gibt es für neue Ideen? Wie steht es um die Fehlerkultur? Wie regelmäßig findet Austausch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern** statt? Unternehmen, die die aktuelle Situation auch als Chance begreifen, das Thema Führung einmal grundlegend neu zu betrachten und frische Impulse in der Gestaltung ihrer Arbeits- und Organisationswelt zu setzen, werden langfristig davon profitieren.
Ein Plädoyer für den persönlichen Kontakt
Bei allen Möglichkeiten, die neue digitale Medien heute bieten, bin ich davon überzeugt, dass inspirierende und durch Empathie ausgezeichnete Führung nicht gänzlich ohne persönlichen Kontakt auskommt. Das ist für mich auch keine Frage von Old und New Economy oder von Vertrauen und Misstrauen. Daher ist es nachvollziehbar, dass viele Unternehmen wenigstens ein bis zwei Präsenztage im Büro vorgeben. Entscheidungen zugunsten eines höheren Home-Office-Anteils sind meist CFO-getrieben. Einige Unternehmen haben die pandemiebedingte Absenz der Mitarbeiter** genutzt, Büroflächen abzustoßen. Solche kostengetriebenen Entscheidungen sind zwar kurzfristig für Unternehmen gut, aber mittel- bis langfristig nicht.
Motivationsschub Corona-Pandemie?
Im Mai 2020 hat das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) 500 Unternehmen verschiedener Branchen zum Thema Arbeiten in der Corona-Pandemie*** befragt. Rund 70 % der Teilnehmer gaben an, größtenteils auf Home-Office umgestellt zu haben. Die Hälfte beurteilt die Leistung der Mitarbeiter** in dieser Zeit als gleichbleibend; 30 % verzeichnet sogar einen Anstieg der Produktivität. Verminderte Produktivität resultierte zumeist aus dem Abbau von Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit etc. Die Studienergebnisse zeigen auch, welch starker Impuls von der Corona-Krise ausging, gemeinsam innovative Lösungen zu entwickeln. Es galt, gemeinsam eine existenziell bedrohliche Situation zu überwinden. Vielleicht auch, den Vorgesetzten** zu beweisen, dass man verantwortungsvoll mit den neuen Freiräumen (wie z. B. Home-Office) umgeht? Bemüht ist, weiterhin gute Ergebnisse zu erzielen und gemeinsam diese herausfordernden Zeiten zu meistern?
Wie lange hält das an? Wann wird auch am heimischen Arbeitsplatz die Motivation sinken und damit Produktivität und Effizienz? Um dem vorzubeugen, müssen Vorgesetzte** jetzt ihre virtuellen Führungskompetenzen auf- und ausbauen und die richtige Mischung bei Delegation, Teamorganisation, Selbstverantwortung und Fürsorgepflicht finden. Die Erfahrungen der letzten Monate sind zu wertvoll, um nicht systematisch genutzt zu werden.
*Quelle: “Homeoffice in Zeiten von Corona“, Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW)
**Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen & personenbezogenen Wörtern wird die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.
***Quelle: „Arbeiten in der Corona-Pandemie – auf dem Weg zum New Normal“, Fraunhofer IAO in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung DGFP e.V.
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